Gehen Sie direkt zum Inhalt der Seite Gehen Sie zur Hauptnavigation Gehen Sie zur Forschung

Vincent Belot, Leiter des Programms Engage bei Michelin, berichtet über vier Jahre Systemumbau, um den Konzern mit einer einheitlichen Lösung für die BtoB-Kundenpflege auszustatten.

Wann ist Engage angelaufen und welches waren die ursprünglichen Ziele?

V.B. Ein Michelin-Vertragshändler, der 2016 in den Vereinigten Staaten mit dem Konzern in Kontakt treten wollte, hatte zwei Möglichkeiten: zum Telefon zu greifen oder 18 IT-Systeme der einzelnen Michelin-Unternehmenseinheiten mit ebenso vielen unterschiedlichen Passwörtern durchzugehen. Selbst die Michelin-Kundendienstabteilung war gezwungen, ein gutes Dutzend interne IT-Systeme zu durchforsten, um Kundendaten auswerten zu können. Vor diesem Hintergrund hieß die Priorität für Michelin „customer centricity“. Daraus entstand 2017 für BtoB-Kunden das Programm Engage unter dem Motto „Make it better to work at and with Michelin“.

 „Alle 150 Länder, in denen Michelin präsent ist, wurden auf Engage umgestellt. Auf diese Weise verfügen wir heute über ein einziges System mit einheitlichen Abläufen und Lösungen.“

Wie wurde es umgesetzt?

V.B. Engage startete in den USA mit dem Ziel, das Management der Kundenbeziehungen zu vereinfachen. Dass es konkretisiert wurde, ist der direkten Unterstützung durch die Konzernleitung und dem Engagement der damaligen Nummer 2, Florent Menegaux, heute Präsident des Konzerns, zu verdanken. Er war Sponsor des Programms. Innerhalb von drei Jahren wurden alle 150 Länder, in denen Michelin präsent ist, auf Engage umgestellt. Auf diese Weise verfügen wir heute über ein einziges System mit einheitlichen Abläufen und Lösungen, das sich auf Salesforce Solutions stützt.

Welche Hürden musste Michelin intern und mit Partnern meistern, um das Programm einzurichten?

V.B. Wir hatten kein größeres Problem mit Kunden und Partnern. Im Gegenteil. Die Hauptschwierigkeit lag im Ausmaß des Projekts. Ein solches Programm in einem so großen Konzern wie Michelin in so kurzer Zeit weltweit umzusetzen, erforderte Veränderungen in der gewohnten Arbeitsweise in den Ländern und auch auf Ebene der einzelnen Sparten. Wesentliche Erfolgsfaktoren waren die Priorität und die Mittel, die dem Projekt von der Konzernleitung eingeräumt wurden, die Benennung eines Sponsors pro Region, um Rollout und Change Management zu steuern, sowie ergänzend zum Core Team die Einsetzung lokaler Teams zur Betreuung von Engage.

Haben sich abgesehen vom Größen- und Zeitfaktor noch andere Herausforderungen gestellt?

V.B. Das Engage Core Team ist von anfänglich 20 Personen auf heute 150 Michelin-Mitarbeiter und Partner angewachsen. Ein so rascher organisatorischer Ausbau, noch dazu verteilt auf viele Standorte, muss ebenfalls entsprechend begleitet werden. Eine weitere Herausforderung: das Datenmanagement. Daten aus 18 unterschiedlichen IT-Systemen einzuspeisen und daraus einheitliche Kunden-, Produkt- und Kontaktstammdaten zu erstellen, ist keine Kleinigkeit. Es handelt sich um Milliarden Daten, die miteinander in Beziehung zu setzen sind. Gleichzeitig ist Engage auch an die anderen IT-Systeme der Gesellschaft anzupassen, die ebenfalls weiterentwickelt werden und sich im Laufe der Zeit verändern.

Welche Tools bzw. Entwicklungen veranschaulichen die Vorteile dieses Programms am besten?

V.B. Ein hervorragendes Beispiel für die Effizienz von Engage ist die Kombination der Lösungen Product Screen und Smart Opportunities. Es zeigt unseren Vertriebsteams das jeweilige Umsatzsteigerungspotenzial auf. Dafür werden die Umsätze mit einem bestimmten Kunden mit dem Volumen anderer Kunden mit ähnlichem Profil verglichen.

Lässt sich die Effizienz des Engage-Programms beziffern?

V.B. Zunächst ist allein schon die Leistung herauszustellen, von achtzehn IT-Systemen auf ein einziges umzustellen. Aktuell sind es 70.000 Kunden (100.000 bis Ende 2021), die mit einem einzigen Account und einem einzigen Passwort Zugang zu einem einzigen Portal haben. Die Datenqualität hat sich seit 2018 von 20 – 50% je nach Bereich auf heute 90% verbessert. Unser Ziel ist erreicht. Wir verfügen über ein wirklich leistungsstarkes CRM.

 „Aktuell sind es 70.000 Kunden (100.000 bis Ende 2021), die mit einem einzigen Account und einem einzigen Passwort Zugang zu einem einzigen Portal haben.“

Weitere Zahlen: die Reklamationsbearbeitungsfristen sind um ein Drittel kürzer, die Nutzung der Michelin-Produktschulungsmodule verzeichnete einen Anstieg um 40% und durch die besser zugänglichen Kundendaten sparen unsere Vertriebsteams im Schnitt eine Stunde Arbeitszeit pro Tag. Und nicht zuletzt wird der durch Engage generierte Gewinn in den Vereinigten Staaten für 2019 auf etwa 150 Millionen Dollar geschätzt. 

Inwieweit bewirkte diese Connected Customer Experience bessere Synergien zwischen den einzelnen Divisionen und Tochtergesellschaften des Konzerns?

V.B. Michelin ist seit Jahren bemüht, das Reifengeschäft zu diversifizieren. Es erfolgten mehrere Zukäufe wie Camso [Gummiketten und Vollgummireifen] und Sascar [LKW-Flottenmanagement-Software]. Jede Firma hat ihr eigenes IT-System. Um Michelin-Kunden diese Produkte anbieten zu können, haben wir 2020 eine Lösung für das Zusammenspiel der IT dieser Firmen mit Engage entwickelt und auf diese Weise konkretes Cross Selling ermöglicht.

Hat die Digitalisierung dazu beigetragen, dass Michelin Marketing-Kampagnen wieder inhouse realisiert?

V.B. Ein Teil unserer Marketing-Kampagnen wird effektiv wieder inhouse durchgeführt. Es waren justament die Anstrengungen, die Zuverlässigkeit der Daten zu erhöhen, die das ermöglicht haben. Allerdings sind dafür auch Qualifizierungsmaßnahmen zur Stärkung der Marketing- und Digitalkompetenzen, angepasst an die Besonderheiten jedes Landes, erforderlich.

Welches ist der nächste Schritt für Engage?

V.B. Als nächstes kommt künstliche Intelligenz. Unsere Product Screen-Lösung ist bereits KI-gestützt und erstellt eigenständig Empfehlungen abhängig von der Analyse der Kundenhistorie und marktbezogenen Kundenerfordernissen. Wir nutzen auch neue automatisierte Lösungen, um die Datenqualität – Fundament der Systemleistung – weiter zu verbessern.

Was würden Sie einem Unternehmen raten, das ein Programm wie Engage in Angriff nimmt?

V.B. An erster Stelle, eine starke Lenkungsfunktion vorzusehen, sowohl zentral als auch regional und spartenbezogen. Unerlässlich ist es auch, so früh wie möglich, noch vor dem Projektstart, die Daten zu bereinigen. Es darf auch nicht vergessen werden, dass der Mensch im Mittelpunkt des Systems steht. Es ist daher rasch ein Plan zu erstellen, der die Nutzerakzeptanz erleichtert. Ein ganz wesentlicher Faktor ist außerdem Agilität, das heißt vom Konzept her groß denken, aber klein beginnen. Wichtig ist es, rasch Wert und Nutzen zu schaffen und über unternehmensinterne Botschafter Interesse zu wecken, um so das Programm weiter voranzutreiben.

15/06/2021

Mehr erfahren